Lachender Dritter

Am 5. Mai 1991 gelang Gery Ochsner die Sensation: Ausgerechnet ein Linker holte an der Bsatzig in Schiers den dritten Sitz für den Grossen Rat. In einem Wahlsystem, das er schon damals als ungerecht empfand.

Dreissig Jahre später gehe ich z’Hengert zu Gery. Wir unterhalten uns auf der Terrasse seines Hauses mit Blick auf Schiers und geniessen die letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags.

«Ich war immer schon ein Aufmüpfiger», so Gery Ochsner. Mit seinem unermüdlichen Engagement für eine gerechte Politik und eine intakte Natur handelte er sich in jungen Jahren im konservativen Schiers und Prättigau einen entsprechenden Ruf ein.

«Es ging ein Raunen durch die Kirche», erinnert sich Gery an die denkwürdige Bsatzig in Schiers. Niemand hatte damit gerechnet, dass ausgerechnet der Kandidat der SP, der «rote Nestbeschmutzer», wie ihn manche beschimpften, tatsächlich einen Sitz holen und nicht wie erwartet die SVP-Kandidatin Margrit Ladner-Frei. «Heute würde das wohl nicht mehr klappen», fügt er nachdenklich an. Will heissen: Dass in einem stark konservativen Umfeld einem linken Mann gegenüber einer bürgerlichen Frau der Vorrang gegeben wird. «Aber damals war das kein Problem.»

Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Gery führt es unter anderem darauf zurück, dass er damals von Edy Walser aus Seewis, dem frischgebackenen Chefredaktor der damaligen Prättigauer Zeitung & Herrschäftler unterstützt wurde: «Irgendwie hatte Edy Gefallen an mir gefunden, obwohl er überhaupt nicht links war.» Ansonsten hat Gery gemeinsam mit der SP Prättigau das gemacht, was Kandidaten üblicherweise im Wahlkampf so machen – wenn auch vielleicht etwas weniger professionell als heute, wie er meint: Im November kündete Gery an, dass er im Mai als Kandidat an die Bsatzig in Schiers kommen würde. (Was übrigens prompt mit bissigen Kommentaren wie «Diese Kandidatur hat uns gerade noch gefehlt!» quittiert wurde.) Im März und April wurden fleissig Leserbriefe geschrieben, Inserate platziert und plakatiert. «Unsere selbstgemachten Plakate hängte ich in der Nacht auf, damit mich niemand sieht», sagt er mit einem feinen Grinsen. Er als Ästhet fand die Plakate nämlich so hässlich, dass er auch keines der Werke aufbewahrt hat. (Anmerkung der Autorin: Siehe unten… Im Archiv der SP Prättigau sind ein paar Exemplare abgelegt.)

Fundstück im Archiv der SP Prättigau

Zu den Sozialdemokraten kam er über den «Altsozi» Hitsch Disch, den er kennenlernte, als er als Student während der Semesterferien in der Gemeindearbeitergruppe Schiers arbeitete. In seiner politischen Karriere setzte sich Gery als «grüner» Linker und Naturliebhaber ein gegen verschiedene Strassen- respektive Erschliessungsprojekte, von denen er befürchtete, dass mit diesen bis anhin intakte Natur über eine Hintertür erschlossen würde. «Ich kam so richtig in Fahrt und man sprach von mir nur vom Politischä

Auch den Proporz wollte Gery im Prättigau einführen und die Wahlkreise abschaffen, die er schon damals «Humbug» fand. Denn seiner Meinung nach werden in diesen veralteten Strukturen noch heute zum Teil Gemeinden zusammengefasst, die politisch wie auch sonst das Heu nicht auf derselben Bühne haben.

Gerade diese Wahlkreise werden uns erhalten bleiben, nachdem das Bündner Stimmvolk Ja gesagt hat zum neuen Wahlsystem mit Doppelproporz. Entsprechend Gerys Einschätzung: Es wird eine gerechtere Verteilung der Sitze geben, aber gerade in den kleinen Wahlkreisen wird es schwierig: «Das Prättigau ist sehr konservativ, darum erwarte ich keine grossen Verschiebungen. Aber immerhin kann man dann in jedem Wahlkreis der SP seine Stimme geben.»

Nach drei Jahren war übrigens schon wieder Schluss mit dem Grossen Rat. An der Bsatzig am 1. Mai 1994 in der Turnhalle in Grüsch verlor Gery seinen Sitz an Hans Thöny von der SVP. Auch wenn er in seinen drei Jahren in der damals nur 11-köpfigen SP-Fraktion seinen Worten nach nicht viel erreicht hat, hat er dennoch einige Vorstösse eingereicht und in einigen Kommissionen mitgearbeitet. So bedauerte er seine Abwahl schon ein bisschen: «Nach drei Jahren im Grossen Rat hatte ich gerade begonnen zu verstehen, wie das so läuft.» 


Text und Fotos: Monika Baumgartner

(Aktualisiert am 7. Januar 2022)

Liebt die Weitsicht und die Natur im Prättigau: Gery Ochsner.

Der Rückkehrer

Die Ursprünge von Gery Ochsners Vorfahren lassen sich bis ins 16. Jahrhundert in die Region Zürich zurückverfolgen: «Ein Paar wurde 1525 von Huldrych Zwingli in Uitikon getraut.» Später wanderten die Ochsners aus in Richtung Edenkoben (Deutschland) und weiter in die Ukraine, damals noch Russland. 1870 kehrten zwei Sprösslinge der Ochsners Katharina der Grossen, respektive Russland, den Rücken und kauften sich in Schiers für ein stattliches Kopfgeld von CHF 1’500 ein, kehrten dann aber bis zur Bolschewistischen Revolution 1919 nach Russland zurück.

Gery ist in Schiers aufgewachsen, verliess aber 1972 das Prättigau in Richtung Zürich, wo er an der Universität zunächst Soziologie, dann aber Anglistik und Germanistik studierte. Er kehrte 1984 nach Schiers zurück und fand eine Anstellung als Leiter der Migros Klubschule in Chur, die zunächst nicht begeistert war von seiner Kandidatur für eine Linkspartei. 

Von 2001 – 2018 unterrichtete Gery Englisch an der Evangelischen Mittelschule in Schiers.

Der SP Prättigau trat Gery 1972 bei, wo er bis 2016 in verschiedenen Funktionen im Vorstand wirkte, unter anderem als Präsident von 1991 bis 1999. Heute ist er Revisor und ein engagiertes Mitglied der Sektion. Am liebsten geht er auf die Strasse: «Dort ergeben sich immer ganz interessante Gespräche.» 


Kommentare

Eine Antwort zu „Lachender Dritter“

  1. Avatar von Gery Ochsner
    Gery Ochsner

    Habs nochmals gelesen und musste auch hie und da schmunzeln. Danke!

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