Wir schreiben das Jahr 1989: Die 31-jährige Apothekerin Vera zügelt mit ihrem Ehemann, dem Arzt Kornel Bay von Basel nach Schiers. Die beiden gehen davon aus, dass dies nur eine kurze Episode sein wird. Doch aus zwei Jahren wurden deren 32, in denen Vera Bay im Prättigau wirkte: gesellschaftlich, politisch, meistens im Hintergrund. 

Zum Beispiel an der Bsatzig in Schiers am 4. Mai 1997, für die Vera einen Kinderhütedienst organisierte. «So wie die Bsatzig damals organisiert war, war es für Familien mit kleinen Kindern praktisch unmöglich, dass beide Eltern ihr Wahlrecht ausüben konnten. Mit der Kinderhüte wollten wir einerseits auf diesen Missstand aufmerksam machen. Andererseits wollten wir Gery Ochsners Chancen verbessern, um dank jungen Wählern seinen 1994 verlorenen Grossrats-Sitz zurückzuholen», erinnert sich Vera. Sie selbst kandidierte damals als Kreisrichter-Stellvertreterin, eine «nicht wirklich ernst gemeinte Kandidatur», wie sie heute sagt. Von den einheimischen Bürgerlichen wurde der angebotene Kinderhütedienst belächelt, da sie mit ihrer traditionellen Rollenteilung und Vormachtstellung keinerlei Bedarf dafür sahen. «Und so wurde unsere Kinderhüte am Ende eine Zusammenkunft von Zugezogenen und Linken.» Trotz aller Anstrengungen wurden Gery, wie auch Vera und Heini Hagmann, der als Kreisrichter kandidiert hatte, nicht gewählt und so verbrachte man den Abend damit, ausgiebig «Wunden zu lecken».

Dabei war sich Vera bewusst, dass die Linken in Graubünden einen schweren Stand haben: «Die SP war im Grossen Rat gemessen am Wähleranteil untervertreten.» Trotzdem kam die Baslerin «brutal auf die Welt», als sich vor ihr ungeahnt tiefe Gräben auftaten. In Sachen Religion – es herrschte damals grosse Aufregung um Bischof Haas – aber auch in Sachen Politik. «Aus Basel war ich es gewohnt, dass auch mit Menschen mit ganz anderen Ansichten ein sachbezogener Dialog möglich ist.» Und mit einem Schuss Basler Ironie liessen sich auch heftigere politische Debatten ziemlich entspannt führen. So war es für Vera völlig unverständlich, dass hier im Prättigau Personen und Parteien nicht getrennt wurden: Sie erinnert sich an einen Arzt am Spital Schiers, der nach ihrer Wahlniederlage nur meinte: «Du hast halt das falsche Partiibüechli».

Die drei Musketiere der SP Prättigau für die Bsatzig vom 4. Mai 1997:
Gery Ochsner, Vera Bay und Heini Hagmann (v.l.n.r.).

Vera war seit ihrer Jugend in Basel politisch engagiert, liess keine Abstimmung aus und wählte links: «Sehr zum Verdruss meines bürgerlichen Vaters.» Das Fass zum Überlaufen brachte sie, als sie mit einer Freundin an einer 1. Mai Demo mitlief und Slogans skandierte, an die sie sich nicht mehr erinnert. An das Urteil ihres Vaters über ihre Freundin aber sehr wohl: «Diese Imme, diese Radikalinska kommt mir nicht mehr ins Haus!» 

Offiziell der SP beigetreten ist Vera 1997, kurz vor besagter Bsatzig. Von 1999 bis 2002 wirkte sie im Vorstand der SP Prättigau, was sie vergleichsweise als eine kurze Zeit empfindet. Doch unterdessen war Vera zu zwei tollen Teilzeit-Jobs gekommen, und nebst der Mithilfe in der Hausarztpraxis ihres Mannes waren zuhause drei Kinder und im Unterland zunehmend hilfsbedürftige Angehörige zu betreuen. Da blieb nicht mehr viel Zeit für Politik, wo es ihr insgesamt auch zu zähflüssig voranging: «Ich wollte mich doch lieber dort einsetzen, wo ich schneller konkrete Resultate sehen würde. Mein Einsatz im Vorstand des «Verein Miteinander Valzeina», der sich praktisch und politisch für die Asylsuchenden einsetzt, die in Graubünden Nothilfe beziehen, braucht zwar auch einen langen Atem. Aber die kleinen Erfolge, die für einzelne Menschen doch viel verändern, geben uns die Energie zum Dranbleiben.»

Parteipolitisch aktiv war Vera seither nur noch als Wahlkampfhelferin, meist dann, wenn auch ihre Tochter Hanna kandidierte. Diese wurde 2014 als Stellvertreterin für den Kreis Schiers in den Grossen Rat gewählt und stand auf der SP-Liste für die Nationalratswahlen. Inzwischen ist Hanna in die Heimat ihrer Eltern nach Basel «zurückgezogen».

Voraussichtlich Ende Jahr folgen ihr Vera und Kornel, die inzwischen beide pensioniert sind. Obwohl Vera hier im Prättigau einige Freundschaften schliessen konnte, auch mit Einheimischen, freut sie sich auf ihre Rückkehr: «Von der Mentalität her passe ich besser in das Dreiländereck.» Den hiesigen Walser-Dialekt wird sie aber sehr vermissen: «Ich höre ihn wahnsinnig gerne.» Und so heimelet es Vera schon an, wenn sie irgendwo unterwegs im Zug im Unterland plötzlich die wunderschöne Prättigauer Mundart hört.


Text und Foto: Monika Baumgartner

Vera hat auch eine Leidenschaft für Handarbeit und Details: Hier vor einem antiken Quilt aus Maine/USA.


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